Wieviel
kostet die Freiheit? Die überraschende
Antwort: 17,5 Kilogramm plus 30 Minuten, denn
das wiegt der faltbare ALLY Kanadier und so
lange dauert das Aufbauen und Beladen des Bootes.
Diese Kombination war für uns die ideale
Lösung, um die Donau zu bereisen - von
der Quelle bis zur Mündung, auf dem Wasser
und auf dem Land. Einblicke über das Leben
am Fluss zu sammeln und Menschen in Dörfern
und Städten zu treffen, war das Ziel -
keine Sackgassen, die am Wasserenden, keine
Wehre oder Staudämme, die nur aufwendig
zu umtragen wären.
Die
Donau, mit 2888 Kilometern Europas zweitlängster
Strom, fließt anders als alle anderen
Flüsse in Europa von West nach Ost.
Sie entwässert einGebiet von 817 000
Quadratkilometern - eine Fläche,knapp
zweieinhalb Mal so groß wie Deutschland.
In ihrem Einzugsgebiet mit Städten
wie Regensburg, Wien, Bratislava, Budapest
und Belgrad leben 200 Millionen Menschen.
Zehn Staaten durchfließt die Donau
heute, und ist dabei häufig zugleich
Grenze. In Bayern wird sie als "Weißwurst-Äquator"
betitelt, hinter dem "eigentlich"
Preußen beginnt. Weiter stromabwärts
trennt die Donau Slowakei und Ungarn, Kroatien
und Serbien, Bulgarien und Rumänien,
Rumänien und die Ukraine. Was aber
macht den Reiz der Donau heute aus? Perfekte
Radwege, Ausflugsdampfer, Wien, Budapest
- Zivilisation von der Quelle bis zur Mündung?
Klischees, die sicher nicht ohne Berechtigung
existieren. Doch die Donau bietet viele
Kontraste entlangihres Weges. Wohlstand
satt und Armut pur, Industrie- komplexe
und fantastische Naturparadiese, Schifffahrtsstraßen
und Naherholungsgebiete. Diese Gegensätze
und die "wilden" Länder des
einstigen Ostblocks bildeten für uns
die Hauptmotivation dieser Reise. Kurz vor
Himmelfahrt starten wir am späten Nachmittag
an der Quelle im Schwarzwald auf mehr als
1000 Meter Höhe über dem Meeresspiegel. |
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Es
ist schon ein erhebendes Gefühl, sich
vor Augen zu halten, dass es von hier aus
theoretisch 2888 Kilometer nur bergab geht.
Der Wirt der angrenzenden Gastronomie überreicht
uns stolz eine Urkunde welche uns den Start
an der mündungsfernsten Quelle der
Donau bescheinigt. Schon am nächsten
Tag erreichen wir Donaueschingen. Hier vereinigen
sich nicht nur die beiden Quellflüsse
Brigach und Breg, sondern im Fürstenpark
sprudelt noch eine weitere Quelle, die als
die "wahre" Donauquelle gehandelt
wird. Zugegeben - durch ihre historisch-architektonische
Einbindung ist sie wesentlich eindrucksvoller
als der Beginn des Gebirgsbaches vom Vortag.
Welche Quelle auch immer die Richtige sein
mag, in Donaueschingen beginnt der legendäre
und bestens ausgeschilderte Donau-Radweg.
Dieser bis Budapest fast durchgehend asphaltierte
Fernradwanderweg ist einfach Kult geworden.Fahrradfreunde
aus ganz Mitteleuropa fühlen sich herausgefordert,
wenigstens einmal im Leben hier entlang
zu fahren. Und sie haben Recht. |
Steter
Wechsel des Transportmittels Kurz vor
Ulm, nach etwa 300 Kilometern, mündet
der Alpenfluss Iller in die Donau. Nun
führt sie genügend Wasser und
ist auch für kleinere Schiffe befahrbar.
Ab hier wechseln wir unsere Transportmittel
Fahrrad und Boot häufiger als die
Unterwäsche. Verspricht die Donau
auf den nächsten 30 bis 40 Kilometern
abwechslungsreich und natürlich fließend
zu sein - fahren wir Boot und ist der
Landweg interessanter - dann wechseln
wir eben aufs Rad und verstauen den Faltkanadier
im Hänger. Aber frei und natürlich
fließende Donaustrecken gibt es
in Deutschland und Österreich kaum
noch. Für Schifffahrt und Wasserkraftwerke
wurde die Donau in ein enges Korsett gezwängt.
Für natürlichen Lebensraum ist
kaum noch Platz. Nur zwischen Straubing
und Vilshofen konnten sich die Anwohner
noch erfolgreich gegen den Ausbau zur
Wasserautobahn wehren. In Passau bekommt
die Donau durch den Inn noch mal kräftig
Verstärkung und fließt weiter
durch Österreich, die Slowakei und
Ungarn. Nach etwa vier Wochen erreichen
wir die Grenze zu Ex-Jugoslawien. Ab hier
ist die nun "Dunav" genannte
Donau Grenzfluss zwischen Serbien und
Kroatien. Offiziell darf man am kroatischen
Ufer nicht anlegen, wenn man über
Serbien einreist und umgekehrt.
Die Einheimischen haben ohnehin kein Interesse,
"Gegners Land" freiwillig zu
betreten, aber wir können der Versuchung
nicht widerstehen,wenn wir gegen Mittag
auf dem offenem Wasser in der Sonne brutzeln
und die Sandbank auf dem anderen Ufer
unter schattenspendenden Bäumen liegt.
Diese "illegalen Grenzübertritte"
bleiben hier noch ohne Folgen. |
Mit Flusskilometer 1333 - so weit ist es
noch bis zur Mündung ins Schwarze Meer
- haben wir die kroatische Stadt Vukovar
erreicht. Etwa 1555 Kilometer Fließstrecke
liegen bereits hinter uns. Die jüngere
Geschichte der Stadt ist bedrückend
und auch nach mehr als zehn Jahren noch
unübersehbar. Im November 1991 wurde
Vukovar von serbischem Militär fanatisch
in Schutt und Asche gelegt. Selbst heute
sieht man an praktisch jedem Haus die Einschusslöcher
der Bombardierung und des Straßenkampfes,
als läge der Krieg erst wenige Monate
zurück. Mehr als 10 000 Opfer forderte
er allein in Vukovar. Weiter talwärts
fließt das Wasser mit vier bis sechs
Stundenkilometern durchs flache Land. Im
Sommer liegen riesige Sandbänke frei,
die Ufer sind gesäumt von ausgedehnten
Auwäldern.Hier kann die Donau noch
tun und lassen was sie will. Hin und wieder
kommt ein Frachtschiff vorbei - sonst absolute
Ruhe. Nur ein paar Kormorane kreischen.
Es folgendie serbischen Städte Novi
Sad und Belgrad. Hier sind auch Bomben gefallen,
doch im Gegensatz zu Vukovar "chirurgisch":
Die Nato flog 1999 unter Federführung
der USA und auch mit deutscher Unterstützung
heftige Angriffe auf strategische Ziele
wie Militärbasen, Brücken und
Industrie. |
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Zwar war die Zahl der zivilen Opfer vergleichsweisegering,
doch drei langeMonate mit täglichen
Luftangriffen haben bei den Bewohnern
Spuren hinterlassen. Hinter Belgrad wird
die Donau noch langsamer und breiter -
stellenweise sind beide Uferseiten bis
zu dreiKilometervoneinander entfernt.
Am "Eisernen Tor", dem Durchbruch
zwischen Karpaten- und Balkangebirge,
wurde der mächtige Fluss durch ein
riesiges Wasserkraftwerk um 32 Meter angehoben.
Früher toste die Donau mit wilden
Strudeln und Stromschnellen durch das
tief eingeschnittene, imposante Tal. Für
die Donau-Schifffahrt war diese Engstelle
kaum zu bezwingen. Die osmanischen Türken
gaben ihrden Namen "Demir Kapi"
und meinten: Unüberwindbar wie ein
"Eisernes Tor". Vom hier aus
aus sind es noch etwa 950 Kilometer bis
zum Schwarzen Meer und wir befinden uns
nur noch 40 Meter über dem Meeresspiegel.
Die untere Donau fließt nur noch
allmählich vor sich hin, teilt sich
häufig in mehrer Arme und verliert
sich
in endlosen Auwäldern.
Diese Region an der Grenze zwischen Rumänien
im Norden und Bulgarien im Süden
ist nur sehr schwach besiedelt ab und
an liegt ein verträumtes Dorf am
Ufer und wir treffen hin und wieder auf
einen Butschka-Fischer. Diese klopfen
mit einem speziellen Holzrohr, der "Butschka"
auf die Wasserkante, um die Welse vom
Flussgrund zu locken. Kein einfaches Leben
am Ufer des Flusses In großen Abständen
reißt die grandiose Auwald-Kulisse
auf und das Hinterland wird sichtbar.
Auf rumänischer Seite liegt ein riesiges
stillgelegtes Chemiekombinat und auf bulgarischer
Seite das kleine Städtchen Nikopol.
Das Leben hier ist seit dem Zusammenbruch
des Ostblocks nicht einfacher geworden.
Die Lebenshaltungskosten sind explodiert,
doch die Einkommen großer Bevölkerungsteile
stagnieren bei 100 bis 200 Euro im Monat.
Arbeitsplätze sind rar, Landwirtschaft
und Schwerindustrie liegen am Boden. Da
müssen die Menschen erfinderisch
sein. Wir kommen an zwei Einheimischen
vorbei, die mit ihrem kleinen Motorboot
Treibholz aus dem Wasser fischen. Sie
wuchten die zum Teil mächtigen Stämme
aus dem Boot und ziehen sie die Uferböschung
hoch. Dort steht dann eine etwas größere
Garage. Hier arbeiten weitere drei Männer.
Sie trennen das kostenfrei "angelieferte"
Treibgut in Balken und Bretter auf und
verarbeiten es zu Holzpaletten weiter.
Der Erlös sichert immerhin fünf
Männern einen guten Monatslohn von
fast 300 Euro.
Kurz vorm Schwarzen Meer, biegt die Donau
in einem scharfen Knick nach Norden und
fließt von jetzt an durch rumänisches
Staatsgebiet parallel zur Schwarzmeerküste
an dem Höhenzug des Dobrutscha-Gebirges
vorbei. Bei der Stadt Tulcea fächert
sie sich in drei Hauptarme auf. Dazwischen
liegt ein riesiges Labyrinth aus Schilf,
Seerosen, Kanälen und Seen. Wir haben
das Finale der Reise erreicht - das Donaudelta.
Biosphärenreservat Donaudelta Dieses
einzigartige Naturparadies mit einmaliger
Tierwelt wurde 1991 von der Unesco zum
Biosphärenreservat erklärt.
Bei einer etwa doppelt so großen
Fläche wie das Saarland beherbergt
es so viele verschiedene Vogelarten wie
kaum ein anderer Fleck dieser Erde. Hier
in Europas größtem Schilfgebiet
leben aber auch Menschen - Rumänen,
Ukrainer und die Minderheit der Lipowener,
die einst vor dem russischen Zaren in
das unwegsame Gebiet geflohen sind. Ab
Tulcea sind die Fahrräder nutzlos
- es gibt hier keine Straßen mehr.
Im Delta kommen wir nur langsam voran.
Lautlos gleitet unser Boot über das
Wasser. Nur das Platschen der Paddel unterbricht
kurz das Kreischen und Murren der Wasservögel
und das zarte Rauschen des Pfahlrohres,
der hier dominierenden Schilfart. Die
Navigation gestaltet sich nicht ganz einfach,
denn zwischen den natürlichen Flussläufen
und den vor etwa 50 Jahren künstlich
geschaffenen Kanälen liegen immer
wieder riesige Seen, umstanden mit drei
bis fünf Meter hohem Schilf.
Das Kartenmaterial ist ungenau und die
Donau sorgt mit jährlichen Hochwassern
immer wieder für Veränderungen.
Mit drei verschiedenen Karten, einem GPS-Gerät
und den aktuellen Hinweisen einheimischer
Fischer schlagen wir uns durch das Labyrinth
in Richtung Schwarzes Meer. In der Thermik
der Mittagshitze kreisen Pelikane am Himmel.
Es sind die Stars des Donaudeltas - ohne
sie wäre diese Region sicher nie
zum internationalen Schutzgebiet geworden.
Doch seit Mai 2004 ist das sensible ökologische
Gleichgewicht in Gefahr, denn die Ukraine
hat begonnen einen Seitenarm zu einem
acht Meter tiefen Kanal auszubaggern,
der die Fahrt zum Schwarzen Meer für
ukrainische Schiffe verkürzen soll.
Umweltschützer befürchten, dass
damit Wasser von angrenzenden Flächen
abgezogen wird, die dann trocken fallen.
Die internationalen Proteste scheinen
aber die Präsidialverwaltung in Kiew
wenig zu beeindrucken. Eine Hamburger
Firma hat bereits mit dem Ausbau begonnen.
Wie sensibel und aktuell dieses Thema
ist, bekommen auch wir zu spüren.
Der nördliche Arm der Donau trennt
Rumänien und die Ukraine und ist
20 Kilometer vor der Mündung etwa
900 Meter breit. In der Flussmitte verläuft
die Grenzlinie. Um den nächsten Abzweig
besser erkennen zu können, fahren
wir relativ weit vom rumänsichen
Ufer entfernt. Für ukrainische Grenzer
wohl zu weit, denn sie kapern unser Boot
und nehmen uns wegen illegalen Grenzübertritts
fest. Die Verständigung ist schwierig.
Mit Sack und Pack werden wir in die Hafenstadt
Izmail gebracht. Man droht uns mit 15
Tagen Gefängnis und 1000 Dollar Strafe.
Nach einem Gesundheitscheck im Krankenhaus,
erkennungsdienstlicher Behandlung, Verhören
und Untersuchungshaft gelingt die Kontaktaufnahme
mit der deutschen Botschaft in Kiew. Am
Ende werden wir in einem fünfminütigem
Prozess "frei"- gesprochen -
der freundliche Richter meint, drei Tage
ukrainisches Gefängnis seien genug
Strafe für 40 Meter Grenzübertritt.
Wir werden auf die rumänische Seite
gebracht. Nun entscheiden wir uns für
den Südarm der Donau, der nur auf
rumänischen Territorium verläuft.
Nach fünf Tagen über Flussläufe,
Kanäle, Seen und Millionen von Mücken
öffnet sich der Schilfgürtel
am Horizont - das offene Meer wird sichtbar.
Auf
dem zweitlängsten Strom Europas unterwegs:
Barbara Vetter und Vincent Heiland wählten
als Transportmittel die außergewöhnliche
Kombination aus Fahrrad und Faltboot,
um das Leben
direkt an der Donau, aber auch im Hinterland
zu dokumentieren. Foto: Vincent Heiland
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